Die 24-jährige Amerikanerin Sloane Stephens galt bereits vor Jahren als grosses Talent und mögliche Nachfolgerin einer Serena oder Venus Williams. Grosse Fussstapfen, in welche sie da treten sollte. Nachdem sie im Jahre 2013 mit Weltranglistenposition 11 ihr höchstes Ranking erreicht hatte, ging die Leistungskurve jedoch nach unten. Der richtige Durchbruch in die Weltspitze blieb aus und es wurde ruhiger um ihre Person.
Im Sommer 2016 verletzt sie sich am Fuss und fällt für den Rest der Saison aus. Schlimmer noch, die Verletzung wurde falsch diagnostiziert. Erst Monate später wird festgestellt, dass es sich dabei um einen Ermüdungsbruch handelt. Es folgt eine OP und die Reha-Phase. Erst im Juli 2017 in Wimbledon gibt Sloane Stevens ihr Comeback. Runde 1 bedeutet Endstation und nachdem sie auch in Washington in der Startrunde ausscheidet, figuriert Sloane nur noch auf Position 957! der Weltrangliste. Doch dann sollten sich die Dinge dramatisch ändern...
In Toronto spielt sie sich bis ins Halbfinale und schlägt auf ihrem Weg u.a. Spielerinnen wie Petra Kvitova oder Angelique Kerber. In der Woche darauf wiederholt sie diesen Coup und wird erst im Halbfinale von der Weltranglisten-Zweiten Simona Halep gestoppt. In den Interviews sagt Sloane Stephens, wie sehr sie es geniesse wieder auf dem Platz stehen zu können, nach schwierigen Monaten der Ungewissheit, sie selbst jedoch völlig überrascht sei, wie gut es ihr laufen würde.
Die Erfolge in Toronto und Cincinatti lassen zwar aufhorchen, doch vor dem Start der US Open ist Stephens eine von vielen Starterinnen und zählt wohl von Niemandem zum Kreis der Favoritinnen. Doch der Sport schreibt manchmal moderne Märchen, welche sich gut verfilmen liessen. Sloane Stephens spielt sich durch das Turnier, besticht durch ihr selbstbewusstes, ruhiges Auftreten, macht athletisch einen hervorragenden Eindruck und es unterlaufen ihr nur wenige einfache Fehler. Plötzlich steht sie im Halbfinale und trifft dort auf ihr einstiges Idol, Venus Williams. In einer hartumkämpften Partie setzt sie sich letztlich mit 7:5 im dritten Satz durch. Im Finale deklassiert sie sogar ihre gute Freundin Madison Keys und gewinnt damit sensationell ihr erstes Grand-Slam-Turnier!
Selbstbewusst, fokussiert, locker und mit Freude am Spiel - so präsentiert sich Sloane Stephens in den Tagen von New York. Im Zeitraum vom 31. Juli bis zum 11. September macht die Amerikanerin einen Sprung von Position 957 auf 17.
Klar, wer die US Open auf eine so beeindruckende Art und Weise gewinnen kann, zählt ab sofort zum engsten Favoritenkreis. Wird Sloane Stephens ihre Form konservieren können und vielleicht gar eine neue Seriensiegerin? Einen Monat später verliert sie bei ihrem ersten Start nach dem grossen Triumph in Runde 1 gegen eine eher unbekannte Chinesin. Einfach ein schlechter Tag? Eine Woche später ein ähnliches Bild: Erneut bleibt sie in der Startrunde hängen und dies gegen eine Qualifikantin. Zudem nicht irgendwie knapp, sondern gleich mit 3:6 und 0:6. Danach spielt sie noch in China ein weiteres Turnier, wo sie ihre beiden Partien verliert und im Finale des Fed-Cups gegen Weissrussland. Auch dort verliert sie ihre beiden Einzel gegen Spielerinnen, welche im Ranking weit hinter ihr liegen. Die Bilanz nach dem Triumph-Zug in New York ist somit fast schon schockierend: 6-mal angetreten und dabei 6-mal verloren und dabei wahrlich nicht gegen die Weltelite angetreten.
Wie ist das zu erklären? Die Ursachen liegen wohl hauptsächlich auf mentaler Ebene. So unbeschwert Stephens bspw. bei den US Open auftrat, so ist die Situation plötzlich eine ganz andere. Sie steht nun im Rampenlicht, hat Medientermine zu erfüllen, von ihr werden Erfolge erwartet. Die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit und wohl auch ihre eigene haben sich grundlegend geändert. Plötzlich geht es nicht mehr um die Freude am Spiel und die Wertschätzung wieder ganz gesund zu sein, sondern ein Druck ist da, Ergebnisse liefern zu "müssen". Dies ist eine der ganz grossen mentalen Herausforderungen für alle Topathletinnen und -athleten. Sich von der Erwartungshaltung zu befreien und sich davon nicht anstecken zu lassen. Vertrauen, aber gleichzeitig keine druckerzeugenden Erwartungen zu haben, sondern sich selbst immer wieder überraschen zu lassen...