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Rückblick Wimbledon 2017

Herren-Einzel: Federers Achter Streich

 

Nach Roger Federers 8. Wimbledon-Titel, seinem insgesamt 19. Grand-Slam-Titel, überschlagen sich die nationalen und internationalen Medien wieder mal mit Superlativen. Die französische Tageszeitung "Le Parisien" geht sogar noch einen Schritt weiter und räumt ein, dass es gar keine Worte mehr gäbe, um das zu beschreiben, was Federer erreicht hat und leistet:

 

"Man hat schon alle Superlative verbraucht, um das Genie Federers zu beschreiben, des grössten Spielers aller Zeiten, und man muss weitere finden, um seinen 19. Grand-Slam-Titel und seinen achten im Rasentempel zu erzählen. Um von der unglaublichen Auferstehung des Königs Roger zu berichten, mit 35 Jahren und nach fünf Jahren Grand-Slam-Mangel. Verrückt!"

 

Die "Auferstehung" erfolgte zu Beginn des Jahres bei den Australian Open, als Federer nach halbjähriger Verletzungspause auf die Tour zurückkehrte und - auch für ihn völlig überraschend - den Titel holen konnte, nachdem sein letzter Erfolg bei einem GS-Turnier aus dem Sommer 2012 datierte. Selbst viele Experten hatten Federer nicht mehr zugetraut einen grossen Titel zu gewinnen. 

 

Die Vorzeichen in Wimbledon waren bereits wieder ganz anders: Federer war Titelfavorit Nummer 1 und wurde seiner Favoritenrolle vollauf gerecht. Dass er die Konkurrenz aber gleich derart dominieren und keinen einzigen Satz abgeben würde, war wiederum überraschend und kaum zu erwarten. Zuvor war Rafael Nadal bei den French Open das Gleiche gelungen, was unmittelbar die Frage aufkommen lässt: Waren Nadal und Federer in Paris bzw. Wimbledon derart stark oder die Konkurrenz so schwach? - Beides trifft zu: Nadal und Federer haben bei ihren jeweiligen Lieblingsturnieren herausragend gespielt und präsentierten sich körperlich und mental in blendender Verfassung. Auf der anderen Seite schwächelten auch ihre Hauptkonkurrenten. In Wimbledon kämpften Novak Djokovic und Andy Murray mit Verletzungsproblemen und standen letztlich auf verlorenem Posten und die jüngere Generation zeigte sich noch zu wenig reif, um in den Titelkampf eingreifen zu können. Federer dagegen sprühte vor Spielwitz und strotzte vor Selbstvertrauen, im Wissen, dass er körperlich in bester Verfassung an den Start gehen konnte. Wenn Federer so auftritt, ist er auch mit bald 36 Jahren auf Rasen eine Klasse für sich!

    

Damen-Einzel: Garbine Muguruza - von Null auf den Wimbledon-Thron

 

Seit sich Serena Williams nach dem Gewinn der Australian Open zu Beginn des Jahres in den Schwangerschaftsurlaub abgemeldet hat, hat sich die Ausgangslage bei den Damen vor grossen Turnieren grundlegend verändert. Die Dominatorin ist nicht mehr da, anderen Spitzenspielerinnen mangelt es an Konstanz, Angelique Kerber als Weltranglisten-Erste scheint mit der Situation, nun öfters im Rampenlicht zu stehen und selbst die "Gejagte" zu sein, nicht richtig klarzukommen. Das Rennen um den Titel präsentiert sich völlig offen und so gewann zuletzt die 20-jährige Lettin, Jelena Ostapenko die French Open, ohne zuvor auf der WTA-Tour einen Titel gewonnen zu haben. 

 

Bei der neuen Wimbledon-Championesse, Garbine Muguruza, liegt der Fall jedoch anders. Die heute 23-jährige Spanierin, stand bereits 2015 im Wimbledon-Finale, als sie Serena Williams unterlag. Im letzten Jahr gewann sie die French Open und behielt im Finale die Oberhand gegenüber Serena. Muguruza hat also schon unter Beweis gestellt, dass sie grosse Titel gewinnen kann, ihr spielerisches Potential ist allseits bekannt. Doch das Potential in sich zu Tragen ist das eine, dieses auch Tag für Tag auf dem Platz abrufen zu können, ist die ganz grosse Herausforderung! Dass dies schwierig ist, zeigte sich auch im Falle der Spanierin. Nach dem Gewinn der French Open im Mai 2016, schaffte sie keinen einzigen Finaleinzug mehr. Zum Teil fabrizierte sie in ihren Partien regelrechte Fehlerorgien und war kaum mehr wieder zu erkennen. In der Woche vor Wimbledon verlor sie in Eastbourne ihre Auftaktpartie mit 1:6 und 0:6 gegen die Weltnummer 23, Barbora Strycova.

 

So offen sich die Ausgangslage vor dem Turnierstart präsentierte - hatte irgend jemand Garbine Muguruza nach diesen Vorleistungen zum erweiterten Favoritenkreis hinzugezählt? Doch im Sport und insbesondere auch im Tennis können sich die Dinge sehr schnell ändern, dann nämlich, wenn sich im mentalen Bereich plötzlich etwas verändert; und selbst kleine Veränderungen können einen sehr grossen Effekt auslösen. Selbstvertrauen vs. Selbstzweifel; konstruktive vs. destruktive Gedanken; Lockerheit vs. Verkrampfung sind zwar Gegensätze, liegen manchmal trotzdem sehr nahe beisammen...

 

Da Muguruzas Trainer, Sam Sumyk in Wimbledon fehlte, wurde sie an dessen Stelle vor Ort von Conchita Martinez (einst selbst Wimbledon-Siegerin) betreut. In einem Interview äusserte sich Muguruza, dass Martinez eine sehr beruhigende Wirkung auf sie habe und aus eigener Erfahrung genau wisse, wie man mit dem ganzen "Turnierstress" umgehen kann, um sich aufs Wesentliche konzentrieren zu können. Im Verlaufe des Turniers steigerte sich Muguruza von Runde zu Runde, das Selbstvertrauen kehrte zurück. Nach dem Halbfinale sagte sie gleich im Anschluss an die Partie, dass sie sich auf dem Platz von Beginn an "super confident" gefühlt habe und dies die Basis gewesen sei für den deutlichen Erfolg. Mit diesem zurück gewonnenen Vertrauen ging die Spanierin schliesslich auch in das Finale gegen Venus Williams und zeigte Nervenstärke, als sie im ersten Satz beim Stande von 4:5 und 15:40 zwei Satzbälle mit couragiertem Tennis abwehrte. Von da an dominierte sie die Partie deutlich und gab kein einziges Game mehr ab. Ihr zweiter Grand-Slam-Titel - ein ganz unerwarteter und es wird interessant zu sehen sein, ob Muguruza in den nächsten Wochen diesen Schwung mitnehmen kann und nun konstanter auftreten wird. Denn nach ihrem Triumph gab sie zu bedenken: In Wimbledon habe alles zusammengepasst, normalerweise fehle es jedoch mindestens an einem Puzzleteil...